Vom Wundarzt, Bader und Feldscher zur Chirurgie





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Kurze historische Übersicht zum Begriff der Chirurgie



"Chirurgie" heißt wörtlich übersetzt eigentlich nichts anderes als Handwerk. "Cheir urgia" – mit der Hand machen –, so wurden die Handwerker im alten Griechenland genannt, zu denen auch die Chirurgen im heutigen Sinne gehörten.
Die chirurgische Tätigkeit beinhaltete vor allem das Verbinden bei Verletzungen, eine Wundbehandlung mit Salben, Kräutern oder ätherischen Ölen, Blutstillung und die Einrichtung von Knochenbrüchen sowie Luxationen. Nach Schwabe ist die Chirurgie der älteste Teil der gesamten Medizin. So wurden beispielsweise Schädeltrepanationen bereits von frühen Naturvölkern durchgeführt; in vielen Teilen der Welt wurden Schädel gefunden, die belegen, daß solche Eingriffe vorgenommen und auch um Jahre überlebt wurden. Früh übten die alten Inder den Steinschnitt und die Nasenplastik aus – offenbar wollte man hierdurch die nicht seltene Strafe des Nasenabschneidens korrigieren.
Im antiken Griechenland stellte Hippokrates ein chirurgisches Prinzip auf, welches auch heute noch gültig ist: "Ubi pus ibi evacua" (wo Eiter ist, da muß geöffnet werden). Blasensteine und Hämorrhoiden wurden hier bereits operativ entfernt. Zu dieser Zeit bestand nach Löffler noch keine Trennung zwischen innerer Medizin und Chirurgie. Im antiken Rom wurde nachfolgend das Wissen der Griechen in der Chirurgie eingesetzt und weiterentwickelt. Die große Enzyklopädie des Celsus "De medicina" (1. Jahrhundert nach Christus) beschreibt unter anderem, wie man Blutungen aus verletzten Gefäßen durch Ligaturen unterbindet, Gliedmaßen amputiert und wie man plastische Operationen mit körpereigenen Transplantaten durchführt. Der griechische Arzt der römischen Kaiserzeit Galen (129-204 nach Christus) schuf ein umfassendes und vielseitiges System, welches länger als ein Jahrtausend zur Grundlage des ärztlichen Denkens und Handelns werden sollte. Nach dem Zusammenbruch des römischen Reiches lag bis zum 12. Jahrhundert die Medizin - unter Einschluß der Chirurgie - fast ausschließlich in den Händen von Mönchen und Weltgeistlichen, die sich jedoch fast nur mit der Behandlung von Wunden befaßten. Den Kirchenoberen war dann aber im verstärkten Maße die zunehmende ärztliche Betätigung der Mönche als Ablenkung von den eigentlichen seelsorgerischen Pflichten unerwünscht. Verschiedene Konzile, wie das zu Reims im Jahre 1125 oder das Lateranische 1139, begannen, der Ausübung der Medizin durch Geistliche ihre Aufmerksamkeit zu widmen, bis das Konzil zu Tours im Jahre 1162/63 mit der Erklärung "Ecclesia abhorret a sanguine" (die Kirche vergießt kein Blut) den Ärzten aus dem Klerus die Ausübung der Chirurgie untersagte. Die nach Ackerknecht "für beide Disziplinen so unglückselige Trennung von Chirurgie und Medizin war seit den Zeiten Galens ständig fortgeschritten und durch den arabischen Einfluß" (insbesondere in Südeuropa) gefördert worden. Im 11. Jahrhundert wurde der Aderlaß zunehmend von Barbieren ausgeführt. Der universitäre Unterricht in der Medizin war ein rein theoretischer, dogmatischer, durchaus nicht praktischer und bestand Gurlt zufolge lediglich darin, daß vom Professor ein griechischer oder arabischer Autor in lateinischer Übersetzung vorgelesen und interpretiert wurde, woraus sich unsere noch heute gebräuchliche Bezeichnung "Vorlesung" und das englische "lecture" und "lecturer" erklärt. Auf den alten Universitäten sah es im Hinblick auf die Medizin fast ohne Ausnahme sehr dürftig aus. Die sogenannten "Anatomieen", welche bis weit in die folgenden Jahrhunderte hinein auf allen Universitäten von Zeit zu Zeit abgehalten wurden und in der Regel mehrere Tage dauerten, bestanden darin, daß bei einem Leichnam – gewöhnlich der eines hingerichteten Verbrechers – durch einen Chirurgen die Leibeshöhlen geöffnet und deren Inhalte durch den anwesenden Professor erklärt wurden. Somit bildete die Chirurgie im Mittelalter keinen Lehrgegenstand an den Universitäten; nach Gurlt waren die Studenten auf private Lehrer und auf das Studium der nur als Handschriften vorhandenen chirurgischen Werke (wie von Hippokrates, Galen und verschiedenen Arabern) angewiesen. Von einem klinischen Unterricht war auf keiner mittelalterlichen Universität die Rede. Die Studenten oder Scholaren hatten sich für praktische Unterrichtszwecke einem Arzt anzuschließen, der sie in seine Privat- oder Hospitalpraxis einführte. Darüber hinaus wurden in den Universitäten erst seit dem Jahre 1220 in Montpellier, seit 1237 in Salerno, seit 1270 in Paris akademische Grade vergeben. Diese gewährten in der jeweiligen Fakultät einen gewissen Rang, aber auch in der kirchlichen Hierarchie, da sie nur Geistlichen verliehen wurden. Zusammengefaßt hat die Heilkunde des europäischen Mittelalters eine Entwicklung genommen, die erst im 19. Jahrhundert wieder zurückgenommen wurde. Dies war die Trennung der Chirurgie von der inneren Medizin, die, ausgelöst durch das Konzil von Tours (1163), allen Geistlichen verbot, die blutige Kunst der Chirurgie auszuüben. Diese Kunst wurde nun von Handwerkern übernommen. Von jetzt an gab es zwei medizinische Berufe, und zwar den des mehr oder weniger handwerklich ausgebildeten Chirurgen und den des an den Universitäten vor allem in die wissenschaftliche Theorie eingeführten Physicus, der mit einem akademischen Abschlußexamen als Lizenziat oder Doktor dem niederen Adel beziehungsweise Klerus gleichgestellt war. Die Chirurgen waren neben und unter den akademischen Ärzten ein sehr wenig angesehener Stand. Als handwerkliche Mediziner arbeiteten auch Scharfrichter, Gaukler, Zahnbrecher, Bruch- und Steinschneider sowie Starstecher. Mißerfolge waren bei ihrer Tätigkeit sicher häufiger als Erfolge. In Kriegszeiten behandelten Wundärzte und Feldschere die Verwundeten. Darüber hinaus haben in der Zeit vom 14. bis zum 18. Jahrhundert die sogenannten "Quacksalber" oder "Kurpfuscher" der Chirurgie nicht unbedingt zum Ruhme gereicht. Diese boten ihre "Kunst" meist auf Jahrmärkten feil. Erst spät wurde die Chirurgie als wissenschaftliches Fach anerkannt. In Deutschland wurde sie erst im 18. Jahrhundert Universitätslehrfach. Neben der nun aufkeimenden wissenschaftlichen Chirurgie hielt sich aber noch für lange Zeit eine rein handwerklich ausgerichtete, die hauptsächlich von den Badern oder Barbieren ausgeübt wurde. Beide Handwerkszünfte oder zumindest eine davon hielten sich regional unterschiedlich, teilweise bis in das erste Drittel des gerade zurückliegenden 20. Jahrhunderts.
Nach Grosch war im süddeutschen Raum die Berufsbezeichnung Bader dasselbe, was in Norddeutschland ein Barbier vorstellte. Allerdings konnten beide Zünfte – wiederum abhängig von Region und Zeitepoche – verschiedene Funktionen ausüben. Die Bader stammten aus der Zunft der "Balneatoren", die in ihren im Mittelalter viel besuchten Badestuben außer dem Rasieren, Haareschneiden, Schröpfen, Aderlassen die Versorgung äußerer Schäden ausübten. Außerhalb ihrer Badestuben mußten sie sich dieser Verrichtungen enthalten, durften jedoch überall Beinbrüche und Verrenkungen heilen, jedoch niemals Arzneien verabreichen.
Die Bader galten übrigens in manchen Ländern oder Landesteilen, ebenso wie die Barbiere und Scharfrichter, im Mittelalter als unehrlich und anrüchig. Die Barbiere (Balbierer, Bartscheerer, rasores, tonsores) übten die gleichen Verrichtungen aus und durften ebenfalls frische Wunden behandeln. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurde der Besuch von Badestuben (aus Furcht vor Infektionskrankheiten) seltener oder hörte ganz auf, womit das Baderhandwerk ausstarb beziehungsweise sich in der Folgezeit mit dem der Barbiere vereinigte.

2.1.1 Handwerksstand der Wundärzte und Barbiere



In der Literatur wird über die verschiedenen Zeitepochen hinaus das berufliche und gesellschaftliche Ansehen der nicht-akademischen Heilberufe teilweise außerordentlich unterschiedlich – positiv wie negativ – betrachtet und bewertet. Den Angaben Drees zufolge konnte beispielsweise bei diesen Handwerkschirurgen von einer qualifizierten Berufsausbildung keine Rede sein. Als Ursache hierfür sind vor allem der geringe Entwicklungsstand der medizinischen Wissenschaft sowie die recht niedrigen und häufig willkürlich gestalteten Ausbildungs-und Prüfungsbedingungen anzuführen. Aufgrund dieser Voraussetzungen waren Kenntnisse und Fähigkeiten der Wundärzte als mangelhaft und ihre Therapien eher als zufällig anzusehen.2 Nach Gurlt hingegen gelangten die Chirurgen bei ihren Verrichtungen nicht selten zu großer Meisterschaft; ihre Werkstätten "lieferten ungelehrte, aber erfahrungsreiche Männer, die durch nüchterne Beobachtung, ( ... ), mehr selbständige Erfahrung und Geschicklichkeit sich aneigneten, als es jemals durch das emsigste Bücherstudium möglich gewesen wäre".
In einer historischen Studie aus dem Jahre 1876 betrachtet Fischer die soziale Stellung der Wundärzte und Barbiere wiederum mit höchst kritischen Augen. Möglicherweise ist seine überwiegende Ablehnung durch die Zeitepoche begründet, in der jener Autor seine Studie verfaßt hatte, denn zu dieser Zeit befanden sich die akademischen und nicht-akademischen Heilberufe noch häufig in direkter Konkurrenz um die Patienten und im Widerstreit um gesellschaftliches Ansehen. Hier sind auch noch die Nachwehen jener "alten" Dualität von promoviertem Arzt und Handwerkschirurg erkennbar. Darüber hinaus wechselten, wie bereits eingangs beschrieben, die jeweilige Bedeutung und Zuständigkeit der Wundärzte und Barbiere bei der Krankenversorgung im Laufe der Epochen und an den verschiedenen Orten, so daß ihr Berufsbild über den langen Zeitraum von mehr als 600 Jahren kaum einheitlich darstellbar und sosomit über die verschiedenen Zeitepochen eigentlich differenziert beziehungsweise im Kontext der jeweiligen Zeit zu betrachten ist.
Um zum Beispiel einen Einblick in die praktischen Berufs- und allgemeinen Lebensumstände der Handwerkschirurgen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts zu erlangen, sei nachfolgend die in ihrer Sprache insgesamt bildhafteinprägsam verfaßte historische Studie von Fischer angeführt, und zwar trotz oder gerade wegen seiner als überaus kritisch zu bezeichnenden Haltung gegenüber den nicht-akademischen Heilberufen. Jener Studie zufolge war der Wundarzt des 18. Jahrhunderts oder vielmehr der Barbier, denn der Weg zur praktischen Chirurgie führte fast ausnahmslos durch die Barbierstube, "im Allgemeinen von einer haarsträubenden Unwissenheit und Rohheit". Dies kann nicht verwundern, wenn man dessen "trostlose Erziehung kennt, die sich von der eines beliebigen Handwerkers gar nicht unterscheidet". Wurde in den sogenannten niederen Ständen "ein Junge zum Barbier bestimmt, so wurde er, nachdem er in der Volksschule kaum deutsch lesen und schreiben gelernt hatte ( ... ), bei einem Wundarzt in die Lehre gegeben. ( ... ) Hier und da musste der Physikus ihn vorher prüfen, ob er deutlich schreiben und lateinisch lesen konnte, andernfalls zurückweisen. ( ... ) Der Lehrling lernte das Rasiren und lief dann den ganzen Tag von Haus zu Haus; in der übrigen ihm knapp zugemessenen Zeit musste er seine Messer schärfen, Pflaster streichen und Charpie1 zupfen. ( ...) Mit der Zeit wurde der Lehrling einmal zum Kranken mitgenommen und ihm das Aderlassen, Schröpfen, Klystieren, Blutigelsetzen, allenfalls auch das Zahnausziehen handwerksmässig beigebracht. Da der Meister in der Regel selbst nichts verstand, so ertheilte er entweder gar keinen Unterricht in der Anatomie, Physiologie und Chirurgie, wozu er eidlich verpflichtet war, oder er lehrte Unsinn. War die dreijährige Lehrzeit, welche in Preussen für Barbiere seit 1734 festgesetzt war, verstrichen und das silberne Besteck dem Lehrherrn geschenkt, dann musste so ein armer Schöps Gott danken, dass er nur einen Bart à la mode scheeren und ein Pflaster streichen gelernt‘. Vor der Losgabe war eine Prüfung nöthig, allein häufig war die ganze Innung zu dumm oder zu faul, eine solche zu veranstalten." So unterschrieb der hierbei anwesende Ortsvorsteher, ein Müller, Schneider oder dergleichen den Lehrbrief, worauf der Lehrjunge zum Gesellen wurde. Anschließend begannen die obligatorischen Wanderjahre, wo der Rasierkurs noch einmal zu absolvieren war. "Der Geselle wohnte im Hause seines Meisters und durfte nicht heirathen. Hatte er täglich seine sechzig Kunden und mehr bedient, hin und wieder für seinen Herrn einen Aderlass gemacht oder eine Wunde verbunden, dann bekam er als Lohn freien Mittagstisch und wöchentlich sechs, höchstens acht Gutegroschen Lohn. Diese armselige Bezahlung reichte kaum für die allernothwendigsten Bedürfnisse hin ( ... ). Von einem Studium, dem Besuch der Vorlesungen in grösseren Städten konnte bei der abmattenden Tagesarbeit, dem Mangel an Büchern, zu deren Anschaffung das Geld fehlte, ( ... ), kaum die Rede sein." Einzelne Gesellen fingen mit besonderem Eifer an zu studieren, allerdings "schadete es ihnen bei ihrer mangelhaften Schulbildung in der Regel mehr als es nützte. ( ...) Nach sechs, sieben Jahren konnte der Geselle Meister werden. Dazu musste er sich beim Physikus, Collegium medicum, oder einer Facultät mit seinem Lehrbrief und den Attesten, dass er als Geselle gedient habe, melden und ein Examen ablegen." Wollte sich ein Wundarzt in einer größeren Stadt niederlassen, so mußte er vorher auf dem anatomischen Theater in Berlin eine anatomische Prüfung ablegen und einen Operationskursus ablegen. Wollte er sich in einem Dorf niederlassen, so wurde kein Kursus, sondern nur eine Prüfung beim Kreisphysikus verlangt. Im Königreich Preußen standen die Bader und Barbiere, wie das gesamte Heilpersonal, unter der Aufsicht des "Collegium medicum", welches im Jahre 1725 zum Ober-Collegium medicum umgestaltet wurde; Provinzialkollegien wurden zudem ab dem Jahre 1724 eingerichtet. Das Oberkolleg bestand aus einem Staatsminister als Vorsitzenden, den Leib- und Hofärzten, dem Physikus, den ältesten Praktikern in Berlin, dem Leib- und Generalchirurg, Hofapotheker sowie drei Chirurgen mit zwei Apothekern als Assessoren. Das Medizinaledikt vom 27. September 1725 ordnete in Preußen an, daß die Barbiere und Bader sich in der Praxis eines Gott-wohlgefälligen, nüchternen und eingezogenen mässigen Lebens befleissigen sollten, damit sie jederzeit bei begebenden Fällen tüchtig sein mögen, ihren Nächsten mit ihrer Kunst und Wissenschaft zuträglich und mit Verstande, es sei bei Tag oder Nacht, dienen ( ... ) auch in vorkommender Pest und Sterbenszeiten, da Gott vor sei, wenn sie beordert werden, in die Lazareten zu gehen.
Wurde ein Barbier beim unerlaubten "Hineinpfuschen" in die Medizin ertappt, so folgte eine Verurteilung zu 20 Talern beziehungsweise Leibesstrafe; bei unordentlichem Lebenswandel und Trunksucht konnte ihm auch die Konzession entzogen werden. Die Bader wiederum durften sich in preußischen Landen bei hoher Strafandrohung nicht Chirurgen nennen. Fischer zufolge zeigten "junge Leute von Talent bei nach so entschiedener Neigung zur Chirurgie wenig Lust", diesem Berufsstande anzugehören. Selbst in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts kamen auf einen "gescheuten" Wundarzt wohl zehn Bartscherer, die nichts als Rasieren und Schröpfen verstanden. Die Wundärzte zwang man sogar zum Barbieren, denn abgesehen von einzelnen Leib- und Hofchirurgen und den königlich speziell lizenzierten Lazarettwundärzten war keinem noch so geschickten Wundarzt die Ausübung seiner Kunst erlaubt, wenn er nicht Meister einer Barbier- und Badestube war sowie Gesellen und Lehrburschen hielt. Aufgeklärte Männer klagten sowohl am Anfang wie am Ende jenes Jahrhunderts wiederholt und vernehmlich "über die traurige Erziehung der deutschen Wundärzte beim Barbierbecken und die heillose Verbindung der Chirurgie mit dem Barbierhandwerk. Allein die Sache blieb wie sie war. Niemand wollte in das Wespennest hineinstechen. ( ... ) Zu durchgreifenden Verbesserungen konnte man sich im 18. Jahrhundert nicht aufschwingen ( ... )". Trotz vielfältiger staatlicher Bestrebungen zur Hebung des fachlichen Niveaus des niederen und höheren Heilpersonals ist auch in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts die medizinische Versorgung, insbesondere der Landbevölkerung, im allgemeinen als mangelhaft zu bezeichnen. Nach Drees war weiterhin die Mehrzahl der Chirurgen nebenberuflich Barbier, Land- oder Gastwirt.In der Lehrlingsausbildung hatte sich ebenfalls nichts geändert. In Ermangelung einer neuen beziehungsweise reformierten Medizinalordnung sah sich der preußische Staat genötigt, zahlreiche Einzelverfügungen zu erlassen, wie Prüfungsanordnungen, Kompetenzabgrenzungen etc., und diese auch fortlaufend zu überwachen. So wurden zum Beispiel in einer Bestimmung vom 15.12.1815 für die Wundarztlehrlinge die Prüfungsanforderungen in der Chirurgie wie folgt festgelegt: Der Kandidat sollte über die Verbands- und Entzündungslehre, die Verschiedenheit der Geschwülste, Knochenbrüche und Verrenkungen, die am häufigsten vorkommenden Operationen sowie über die Behandlung der Scheintoten Auskunft geben können.
Alle diese staatlichen Maßnahmen führten jedoch in der medizinischen Versorgung weder zu qualitativen noch quantitativen Verbesserungen. Daher beschloß das "Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten" die Errichtung chirurgischer Lehranstalten im Königreich Preußen.
Jenen Bildungseinrichtungen ist insbesondere das Teilkapitel 2.2.2 gewidmet.

2.1.2 Feldschere



Im Hinblick auf die medizinische Versorgung wurde auch das Bild der preußischen Armee weitgehend von Wundärzten beziehungsweise Feldscheren bestimmt. Die Verluste an Menschenleben waren bei den vielen kriegerischen Auseinandersetzungen unverhältnismäßig hoch, dabei starben die wenigsten auf dem Schlachtfeld. Seuchen setzten den Armeen oft mehr zu als die Kämpfe; nach den Schlachten starben in der Regel wesentlich mehr Soldaten an schweren Infektionen als während der Kampfhandlungen. Das Königreich Preußen zum Beispiel verlor in den drei schlesischen Kriegen insgesamt 190.000 Soldaten und zirka 30.000 Zivilisten durch direkte Kampfhandlungen oder infolge indirekter Kriegseinwirkungen. Napoleon zog mit einer Armee von 300.000 Mann gen Rußland, von denen dann nicht einmal 10 % zurückkehrten. So viele Opfer wollten, besonders unmittelbar nach den Schlachten, medizinisch versorgt sein. Die preußischen Armeen hatten als Feldschere Bader und Wundärzte, die eine abgeschlossene Lehre vorzuweisen hatten. Vermutlich erfüllten jedoch nicht alle Feldschere diese Mindestvoraussetzungen. Im 17. und frühen 18. Jahrhundert betrug in der preußischen Armee das Verhältnis Feldscher pro Mann etwa 1 : 20.000. Auch die Ausrüstung der Feldschere galt als völlig unzureichend. Zu Anfang des 18. Jahrhunderts setzte Preußen einen Generalchirurgen ein, dem alle Feldschere unterstellt waren, womit sich vieles verbesserte; vor allem wurden sie jetzt einheitlich ausgebildet. Der erste Generalchirurg war Conrad Holtzendorff (1688-1751). Durch ihn wurde die Versorgungder Verwundeten ganz entscheidend verbessert. Im Jahre 1727 gründete Holtzendorff zur Aus- und Weiterbildung der Armeefeldschere das "Collegium medico-chirurgicum". Auch die Gründung eines Armeehospitals in Berlin, das später allen Bürgern geöffnet wurde, war sein Werk. Unter dem Namen "Charité" wurde diese Einrichtung weithin bekannt, in der Folgezeit immer weiter ausgebaut, und unter diesem Namen hat sie noch heute Bestand.
Das Schicksal verwundeter Soldaten war schrecklich, verbunden mit großen Schmerzen und der Angst vor dem Verlust des dahinrinnenden Lebens. Schwabe zufolge kann sich heute niemand mehr in die Lage dieser armen, gequälten Menschen hineinversetzen. Es war unmenschlich, was sie zu ertragen hatten. So war zum Beispiel die Sterblichkeit der ohne Narkose Amputierten ungewöhnlich hoch; nach glücklich überstandenen Amputationen verstarben noch fast ein Drittel an Entkräftung, Tetanus oder auftretenden Infektionen. Nicht wenige sind mit Sicherheit auch einfach verblutet. Die Verwundeten und Verstümmelten hörten das Schreien derer, die amputiert werden mußten, "oder derer, denen man Kugeln aus dem Leib reißen mußte. Sie rochen das Blut und den Eitergestank, warteten voller Angst darauf, was sie noch an Schmerzen erleben mußten." Letztlich blieb den Schlachtenlenkern der Ruhm, dem zerschossenen und verstümmelten Soldaten nur das Leid. Dabei muß man jene Männer bewundern, die oft unter Einsatz ihres Lebens auf den Schlachtfeldern zu helfen suchten. Sie wollten die geschlagenen Wunden heilen und Leben erhalten, auch wenn die Unzulänglichkeiten ihrer Heilkunst einen Erfolg teilweise oder oft auch gänzlich zunichte machten. So kämpften zwischen 1792 und 1815 insgesamt 4,5 Millionen Soldaten unter französischer Flagge; von ihnen starben mehr als 2,5 Millionen. Nur ein geringer Teil, etwa 150.000 Mann, fiel unmittelbar auf den Schlachtfeldern, der weitaus größere Teil verstarb auch hier an Infektionen und Seuchen.

2.1.3 Chirurgisches Instrumentarium im 17. und 18. Jahrhundert



Trotz vielfältiger technischer Entdeckungen und Erfindungen blieben in der Chirurgie in jener Zeit entscheidende Erfolge vor allem deshalb aus, weil weder die Ursachen der Wundinfektion noch desinfizierende Mittel beziehungsweise Hygienemaßnahmen bekannt waren. Außerdem sollte nicht unerwähnt bleiben, daß bis zum Ende des 19. Jahrhunderts allgemein die Ansicht herrschte, daß eine Eröffnung der großen Körperhöhlen zwingend den Tod mit sich brächte. Darüber hinaus gab es bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts selbst in größeren Krankenhäusern kaum separate Operationsräume. Dagegen waren eigens angefertigte Operationsstühle und –tische schon seit längerem im Gebrauch, die bei Bedarf in die Krankenzimmer transportiert wurden. Das seit dem 17. Jahrhundert verwandte Instrumentarium des Wundarztes (beziehungsweise Feldscherers) läßt sich in fünf Gruppen unterteilen, und zwar in Schneidemesser (dem Rasiermesser ähnlich), Dehninstrumente, Zangen, Spreizklammern und Löffel. Solche Instrumente wurden in besonders gestalteten Holzkästen oder auch in Schränken aufbewahrt.
Insgesamt bildeten diese meist schlichten chirurgischen Arbeitsgeräte, mit Ausnahme der bereits gerade erwähnten, insbesondere auf chirurgische Erfordernisse angefertigten Möbel wie Tische und Stühle, die Ausstattung der sich im Wohnhaus befindlichen chirurgischen Werkstatt - der Barbierstube.
Hierzu sollte abschließend Erwähnung finden, daß die allgemeine Ausweitung des Sanitätsdienstes bei den Truppen - in Kriegs- wie in Friedenszeiten - für die bislang als Feldscherer geringgeachteten Wundärzte eine Verbesserung ihrer sozialen Stellung zur Folge hatte. Insbesondere diese Gruppe setzte sich für eine Modernisierung des chirurgischen Instrumentariums und auch der Operationstechnik ein, was an den medizinischen Fakultäten der Universitäten bislang vollständig vernachlässigt worden war. Zur Ausbildung der Wundchirurgen im Heer wurde im Jahre 1713 ein medizinisch-chirurgisches Kollegium mit einer Anatomieabteilung eingerichtet. Für die praktische Unterweisung stand mit der Eröffnung der Charité in Berlin im Jahre 1727 außerdem eine große Krankenabteilung zur Verfügung.

2.1.4 Medizinische Fachliteratur im 17. und 18. Jahrhundert



Nach Sander wäre hierzu zunächst die Frage zu beantworten, ob oder inwieweit sich die zeitgenössischen Handwerkschirurgen bei ihrer Berufsausübung allein auf mündlich- oder handlungspraktisch überlieferte Kenntnisse stützten – somit reine Empiriker waren, von denen sich die auf ihr theoretisches Wissen stolzen akademisch ausgebildeten Ärzte absetzten –, oder ob sie bei ihrer Chirurgentätigkeit auch medizinische Literatur herangezogen haben, wie es der Autorin zufolge verschiedentlich zeitgenössische Medizinalordnungen empfahlen. Unter dem preußischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm erlangte besonders der langjährig tätige Militärarzt Matthäus Gottfried Purmann (geboren im Jahre 1648 – oder nach Murken2 im Jahre 1649 –, gestorben im Jahre 1711 oder 1721) aufgrund seiner technischen Kunstfertigkeit großen Ruhm. Er führte in der Technik verfeinerte Schädeltrepanationen und erfolgreich Luftröhrenschnitte durch. Im Jahre 1690 verfaßte er für angehende Militärchirurgen das Buch mit dem Titel "Der rechte und wehrhafftige Feldscher". Bereits im Jahre 1615 hatte in Basel der Chirurg Wilhelm Fabry von Hilden (1560-1634) (latinisiert: Wilhelm Fabricius Hildanus) eine Zusammenfassung zeitgenössischer Operationstechniken und der hierbei gebräuchlichen Werkzeuge unter dem Titel "New Feldt Artzny Buch von Kranckheiten und schaeden / so in Kriegen den Wundartzten gemeinlich fuerfallen" veröffentlicht. Einige Instrumente verbesserte er selbst unter gleichzeitiger Modifikation bislang durchgeführter chirurgischer Eingriffe. Als beispielhaft hierfür gilt seine Veröffentlichung "Lithotomia vesicae", welche sich mit der Entfernung eines Harnblasensteins beschäftigt und im Jahre 1626 erschienen war. In den Jahren von 1606 bis 1641 wurde darüber hinaus sein sechsbändiges Werk "Observatorium et curatorium chirurgicarum centuria" veröffentlicht, in dem hauptsächlich chirurgische Fälle dargestellt sind. So setzte von Hilden zum Beispiel zur Entfernung von Eisensplittern aus dem Auge bereits einen Magneten ein. Ferner ist er wahrscheinlich der Erfinder des Ohrenspiegels, der dann aber erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allgemein zum Einsatz kam.
Ein weiteres bedeutendes Lehrbuch aus dem 17. Jahrhundert stammt vom Ulmer Wundarzt Johann Schultheiß (1595-1645) (latinisiert: Joannis Scultetus) mit dem Titel "Armamentorium chirurgicum". Im Jahre 1653 erschien es in einer von seinem Neffen Johannes Schultheiß redigierten Ausgabe, im Jahre 1666 in einer erweiterten Form auch in deutscher Sprache unter dem Titel "Wundarzneyisches Zeug-Hauß". In diesem Werk wird ausführlich – fast modern anmutend – das in dieser Epoche gebräuchliche chirurgische Handwerkszeug erläutert und eine Anzahl der von Schultheiß dem Älteren neuentwickelten Instrumente vorgestellt. Nach Murken lag es Schultheiß gewissermaßen als Vorläufer späterer Professoren im akademischen Fach der Chirurgie vor allem am Herzen, angehenden Chirurgen die Therapie von Geschwülsten, Geschwüren, Wunden, Frakturen und von Gliedmaßenverrenkungen aufzuzeigen. Damals gebräuchliche chirurgische Instrumente erklärte er mit Hilfe von Bildtafeln, anhand von weiteren 32 Tafeln die eigentlichen chirurgischen Einsatzmöglichkeiten.
Der französische Chirurg Pierre Dionis (1718 gestorben) publizierte im Jahre 1707 sein Werk "Cours d’opération de chirurgie", welches auf Vorlesungen im Amphitheater des "Collége des Chirurgiens" beruhte. Hier werden Operationskurse, didaktisch wertvoll, mit über 60 Abbildungen versehen und in zehn Abschnitte gegliedert, methodisch erläutert. Dieses Werk erlebte viele erfolgreiche Auflagen und wurde auch ins Deutsche übersetzt. Der Umfang, die Aktualität und die Ausrichtung der verfügbaren wundärztlichen Fachliteratur dürfte die jeweiligen Interessengebiete und den Kenntnisstand der Wundärzte zumindest annähernd widerspiegeln. Da für Halle diesbezüglich bislang keine Quellen offenliegen, erscheint es hilfreich, hierzu wiederum die Untersuchung von Sander heranzuziehen, welche die Sozialgeschichte der Handwerkschirurgen im Württemberger Raum zum Inhalt hat. Als Quellengrundlage dienten der Autorin Inventur- und Teilungslisten zeitgenössischer Handwerkschirurgen, teilweise auch aus anderen Regionen Deutschlands. In den meisten der von ihr herangezogenen Inventaraufstellungen sind berufskundliche Schriften angeführt. So wertete zum Beispiel Walter Wittmann in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts die Bücherlisten Frankfurter Nachlaßinventare des 18. Jahrhunderts aus, wobei er in diesem Zusammenhang von "berufskundlichen" Büchern der Handwerkschirurgen sprach, ohne allerdings diese näher zu charakterisieren. Breining wies in einer lokalhistorischen Studie auf die chirurgische Fachliteratur eines Barbiers im württembergischen Besigheim bereits in der Zeit um 1600 hin.1 In der Studie von Sander wurden unter anderem auch in Altwürttemberg die amtlichen Besitzstandsverzeichnisse zweier Amtsstädte, und zwar von Wildberg (bis 1806 Amtsstadt) sowie von Waiblingen untersucht. Im 18. Jahrhundert wies Wildberg zwischen 1.500 und 1.700, Waiblingen rund 2.000 Einwohner auf. Aus Wildberg sind die Inventurund Teilungslisten des 18. Jahrhunderts von 13 ortsansässigen Chirurgen vollständig erhalten. Für Waiblingen fanden sich nur die Inventare von zehn Chirurgen aus der zweiten Hälfte desselben Jahrhunderts. Erwähnt sei jedoch, daß trotz vollständiger Quellenlagen hier nicht alle Wundärzte erfaßbar waren, denn wer nur vorübergehend an einem der beiden Orte tätig war und dort weder durch Heirat noch Tod aktenkundig wurde, fiel durch das Archivnetz lokaler Überlieferungen. Bei der Erfassung des Besitzstandes dieser 23 Chirurgen fanden sich in den Inventaren insgesamt 117 berufskundliche Bücher. Dabei war etwa ein Viertel dieser Schriften in mehr als einem Inventar nachweisbar, somit kommt man auf 80 – 90 verschiedene Fachbücher, die sämtlich deutschsprachig verfaßt waren. Anhand der Kurz- oder Titelbeschreibungen konnte eine grobe inhaltliche Kategorisierung vorgenommen werden. Von den 117 Büchern stand im Hinblick auf die Quantität an erster Stelle die innere Medizin und Pharmazie, zwischen denen keine eindeutige Trennungslinie vorliegt, mit 51 Werken, dicht gefolgt von der Chirurgie mit 49 Büchern - wovon 15 der Anatomie gewidmet waren.2 Hier zeigt sich Sander zufolge recht eindringlich, wie groß das Interesse der Handwerkschirurgen an diesen eigentlich doch "verbotenen" Bereichen war. Zu diesen Gebieten zählten häufig auch Arznei- und Kräuterbücher, die sich nicht nur an Fachleute, sondern mit teilweise beachtlichem Erfolg an ein größeres Publikum wandten, insbesondere an die sogenannten "Hausväter und "–mütter". Dieser Besitz an handlungsanleitend-traditionell volkstümlichen Schriften läßt die Dominanz eines praktischtherapeutischen Interesses der zeitgenössischen Chirurgen erkennen. Hingegen fehlen aus dem Bereich der inneren Medizin vollständig die Namen der bekanntesten medizinischen Autorengelehrten des 18. Jahrhunderts (wie Sydenham, Boerhaave oder Albrecht von Haller). Allerdings dürfte eine solche Lektüre für den Handwerkschirurgen mit seinen in der Regel fehlenden Lateinkenntnissen eine Sprachbarriere dargestellt haben. Das Meiden einer solchen eher theoretisch orientierten Literatur vermochte für die kurative Praxis sogar von Vorteil gewesen sein, denn eine ausgeprägte Theorieorientierung konnte schnell zu therapeutischen Fehlentscheidungen führen. Letztlich scheint in der Praxis der theoriefern(er)e Chirurg im Vergleich zum akademisch ausgebildeten Mediziner eine dem Patienten therapeutisch hilfreichere, kritisch-empirische Haltung eingenommen zu haben. Das Schrifttum auf dem Gebiet der Chirurgie, welches nach der Häufigkeit der Nennungen auf dem zweiten Platz rangierte, befand sich zum größten Teil auf einem recht aktuellen Stand, was im Bereich der inneren Medizin oftmals nicht der Fall war. Zwei Titel datierten sogar aus dem 16. Jahrhundert, denn die innere Medizin galt als ein Bereich mit recht geringen therapeutischen Fortschritten. Unter den Autoren auf dem Gebiet der Chirurgie sei insbesondere Lorenz Heister (1683-1758) hervorgehoben, der allgemein als Begründer der deutschen wissenschaftlichen Chirurgie gilt.1 Im Jahre 1708 veröffentlichte er als Doktor der Medizin ein umfangreiches chirurgisches Lehrbuch mit dem Titel "Chirurgie, in welcher alles, was zur Wund-Artzney gehöret, nach der neusten und besten Art". Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts erlebte dieses Werk, in dem die gesamte zeitgenössische Chirurgie abgehandelt ist, immer wieder neue Auflagen. Nicht neue bahnbrechende Entdeckungen verhalfen diesem chirurgischen Lehrbuch zu seiner großen Bedeutung, sondern eine wohlüberlegte Auswahl des damals zur Verfügung stehenden chirurgischen Wissens und eine geschickte Aufbereitung und Darstellung dieses Stoffgebietes.2 In den von Sander untersuchten Inventarlistentauchte Heisters Name zehnmal auf. Sein Hauptwerk, das große Lehrbuch zur Chirurgie, war allein sechsmal vertreten. Mehrfach wurden auch seine Schriften zur Anatomie genannt. Mit 15 erwähnten einschlägigen Büchern bildeten diese insgesamt eine recht starke Unterabteilung innerhalb des chirurgischen Schrifttums. Andere Spezialgebiete der Medizin fanden sich hingegen nur vereinzelt; so war in den Inventurlisten nur je ein Titel zur Osteologie, zur Bandagenlehre, zur Augenheilkunde sowie zur Lehre der Bruchoperationen aufgeführt. Im allgemeinen wurden die chirurgischen Fachbücher bevorzugt, die sich auf die gesamte Vielfalt dieses Gebietes bezogen. Geburtshilfliche Abhandlungen folgten nach der Chirurgie beziehungsweise Anatomie auf Rang drei mit zehn Eintragungen. Jene Schriften (teilweise Hebammenbücher) bezogen sich auch auf Fragen der Frauen- und Kinderheilkunde, was der Autorin zufolge ein deutlicher Fingerzeig auf das Interesse der Wundärzte an diesem in jener Epoche schnell wachsenden medizinischen Tätigkeitsfeld darstellt. An sonstigen Fachgebieten tauchten, quantitativ auf den unteren Rängen, die Tierheilkunde mit zwei Werken, eine religiös-erbauliche Schrift ("Krankentrost") sowie die naturmystische Medizin mit zwei Titeln aus der Gattung der Hausväterliteratur auf. Die verbliebenen letzten vier Schriften ließen sich nicht eindeutig zuordnen. Auf die einzelnen Chirurgen umgelegt kamen in Wildberg neun Fachbücher auf einen Wundarzt, in Waiblingen lagen diese Pro-Kopf-Zahlen bei etwa vier Exemplaren; hier war die Zahl aufgrund kürzerer Buchlisten zwangsläufig niedriger.1 Sander zufolge läßt sich für die traditionelle Handwerkschirurgie in der Zusammensetzung der Fachliteratur eine noch deutliche Präferenz der Praxis vor der Theorie ablesen.

2.2 Unterschiedliche Ausbildungsgrade in der Chirurgie – Zusammenarbeit zwischen akademisch ausgebildeten Ärzten und Wundärzten?



2.2.1 Soziale Stellung der Wundärzte – "Wundarztklassen"



Dem gegenüber den nichtakademischen Heilberufen als äußerst kritisch zu bezeichnenden Autor Fischer zufolge hatte der Wundarzt auf jede bessere Gesellschaft zu verzichten und wurde im Kreis der Ärzte nicht geduldet. Der Doktor pochte auf seine gelehrte Bildung und sah auf den Wundarzt, wie auf die Chirurgie überhaupt, stolz herab. Darüber hinaus schlugen dem Wundarzt Haß und Erbitterung entgegen, sobald seine Kur einen ungünstigen Ausgang nahm.
Hinzu kamen die Vorurteile der Bevölkerung auf dem Lande gegenüber Operationen. Fischer zufolge "hatte man alle Ursache, dem Barbier auf die Finger zu sehen, denn welchen Gefahren war das Publikum ausgesetzt, wenn dieser nach Jahre langem Umherlaufen mit dem Rasirmesser plötzlich als Meister auftrat und Fracturen, Luxationen, Hernien, schwere Geburten behandelte!" Deshalb hatte der Physikus nachzuschauen, "ob der Wundarzt gute chirurgische Bücher und Instrumente besitze, die Lehrlinge ordentlich unterrichte und sie nicht durch Haus- und Feldarbeiten vom Lernen abhalte". Bei diesen Kontrollen erwies sich als Übelstand, daß der Arzt wenig oder gar nichts von Chirurgie verstand, somit erschien jeder Rangstreit zwischen Ärzten und Wundärzten lächerlich und absurd. An der Universität hatte er sich mit einer theoretischen Vorlesung begnügen müssen, selten oder niemals operierte Kranke gesehen und niemals selbst Hand angelegt. So wollte zum Beispiel der Hallenser Ordinarius für Medizin Georg Ernst Stahl in seiner Einleitung zur Chirurgie unter anderem "von den Schwierigkeiten der Trepanation und Bronchotomie nicht viel wissen", dagegen war er "um so besorgter für die Heilung der Luftröhrenwunde und stimmte beim Bruchschnitt der Castration bei". Selbst zum Ende des 18. Jahrhunderts gab es nach Fischer verhältnismäßig wenige Ärzte in Deutschland, die in der Lage waren, wichtige chirurgische Fälle beurteilen zu können. Wie gestaltete sich nun darüber hinaus in der Praxis die Zusammenarbeit zwischen Arzt und Wundarzt? Der Staat hatte bestimmt, daß bei allen komplizierten chirurgischen Fällen, die außerhalb der üblichen Praxis anfielen, ein Arzt hinzuzuziehen war. Bei solchen Konsultationen verlangte der Arzt die "Direktion", dabei behielt er sich sowohl die Beurteilung des Falles als auch die Verordnung der chirurgischen Mittel vor. Als Doktor der Medizin beanspruchte er den höheren Rang, sah selbst ein chirurgisches Doktorat nicht als ebenbürtig an. Letztlich erwartete er einfach die Ausführung seiner Anordnungen. Darüber kam es häufig zu Streitigkeiten, oft auch zu gerichtlichen Prozessen. Gute Chirurgen hatten Mühe, ihrem Berufsstand Anerkennung zu verschaffen. Dem approbierten Arzt war ausschließlich die Behandlung innerer Krankheiten erlaubt, dem Wundarzt nur die Ausübung der Chirurgie und Geburtshilfe, die in Preußen bis zum Jahre 1791 miteinander verbunden waren. Wollte ein Arzt zugleich Chirurgie oder nur einen Teil derselben, zum Beispiel "Starstechen", ausüben, so benötigte er eine besondere Erlaubnis vom "Collegium medicum". Auf dem Lande war beim vorherrschenden Ärztemangel eine Trennung beider Berufsstände nicht streng durchzuführen, hier "curirten" nach Fischer "Bader und Barbiere Alles, was ihnen vorkam". Wohnte in kleinen Orten kein Arzt, so behandelte der Chirurg auch Krankheiten des Inneren, "jedoch mit der Einschränkung, daß er keine starken Purgantien und Brechmittel, Opiate, Narkotica usw. anwenden, bei Syphilis keine Salivationskur und bei hitzigen Fiebern keinen Aderlaß vornehmen durfte".
In Krisensituationen, wie in Pestzeiten, betrauten manche Stadtgemeinden ohne beamteten Arzt den Chirurgen auch mit bestimmten ärztlichen Funktionen.
Der bereits oben erwähnte Matthäus Gottfried Purmann ist dabei zweifellos einer der profiliertesten deutschen Vertreter dieser "Arztchirurgen”.
Jedes Stadtamt hatte überdies seinen besonderen Wundarzt, dem mehrere Dörfer zugeteilt waren. Von diesen Amtschirurgen forderte man die notwendige Geschicklichkeit für alle Operationen, die sich nicht aufschieben ließen, wie Tracheotomie, Trepanation oder Herniotomie. Eine derartige Einschränkung der Gewerbefreiheit fand sich auch in den preußischen Residenzen, an denen im Jahre 1725 außer den Hof- und Leibchirurgen nur zwanzig deutschen und sechs französischen Chirurgen zu praktizieren erlaubt war.
Des weiteren wurden die Wundärzte auch bei gerichtlichen Fällen herangezogen.
Die sechs Stadtchirurgen von Berlin hatten zudem unter der Aufsicht des Physikus die Prostituierten zu untersuchen, die Armen zu behandeln und bei Unglücksfällen rasche Hilfe zu leisten; anfangs unentgeltlich und seit dem Jahre 1780 für ein Gehalt von 100 Talern.
Der unterschiedliche Bildungsstand unter den Chirurgen bedingte ihre Einteilung in mehrere Klassen, wobei jeder einzelne deutsche Teilstaat sich kraft seiner Souveränitätsrechte von seinen Nachbarn abzugrenzen suchte. So hatte zum Beispiel der als Landesfürst regierende Bischof von Hildesheim (im Jahre 1782) drei Klassen von Wundärzten, und zwar 1.) solche, die alle Teile der Chirurgie und Operationen ausübten, sogenannte Amtschirurgen; 2.) diejenigen, welche nur Frakturen, Luxationen, Wunden, Geschwülste, Entzündungen usw. behandelten; und 3.) die, welche rasierten; schröpften, zur Ader ließen. Eine Beförderung in die höhere Klasse war von einer neuen Prüfung abhängig.
Das bereits oben erwähnte, im Jahre 1725 von Berliner Oberkollegium medicum herausgegebene "Allgemeine Medizinaledikt” präzisierte den Aufgabenbereich des Chirurgen für Brandenburg-Preußen genauer als die Anordnung vom 09.10.1713, welche nachdrücklich festlegte, das "curiren” sei allein eine Angelegenheit der Ärzteschaft. Im Medizinaledikt des Jahres 1725 wird nunmehr unter "Chirurg” wohl ausschließlich der nach Ablegung eines "Cursus anatomicus” examinierte Absolvent einer Chirurgenschule (siehe hierzu Kapitel 2.2.2) verstanden, da Kaiser und Piechocki zufolge in diesem Gesetzestext in der Sectio III "von denen Chirurgis”, in der Sectio VI aber "von denen Badern” gesprochen wird. Die Bader unterliegen jetzt ebenfalls einer Prüfung durch ein Collegium medicum. Sie dürfen weder die Amtsbezeichnung "Chirurg” führen, noch entsprechende Eingriffe vornehmen. Somit stellt der approbierte Chirurg gewissermaßen eine höhere Qualitätsstufe des ärztlichen Hilfspersonals dar als der Stand der Bader.
Die kurbrandenburgische Regierung nahm es mit ihrer Verantwortung und somit mit ihren Verfügungen über die medizinischen Belange sehr ernst. Das zeigte sich unter anderem auch darin, daß die Gesetze in der Presse fortlaufend periodisch publiziert wurden. In den "Wöchentlichen Hallischen Anzeigen” vom 29.03.1734 erscheint zum Beispiel eine Zusammenfassung aller diesbezüglich seit dem Jahre 1713 erlassenen "Ordnungen”. Unter Hinweis auf das Medizinaledikt von 1725 verfügte man über die Chirurgen nochmals folgendes: § 14. In der Sectione III. von denen Chirurgis, kommen die Artickel also vor I) alle chirurgi sind den collegiis medicis unterworfen. II) Sind von dem Obercollegio, oder auch denen Provintzial-collegiis zu examiniren und einen cursum anatomicum zu halten, schuldig; jene sollen aber den Rang vor den Letztern, haben III) Ihrer sollen in der Residentz XX. Teutsche und VI. Frantzösische seyn IV) Schmausereyen Salbenköchereyen sollen unterbleiben und ein gewisses, an Geld, dem Amt bezahlet werden V) sollen allein äußerlich curiren VI) Verwundungen sollen sie anzeigen, VII) aller innerlichen Curen sich begeben, auch IX) der salivation in lue venerea; wannnicht ein medicus dabey gebrauchet.
§ 17. In der Sectione VI. von Badern, sollen dieselbe auch vom collegio medico examiniret werden; sich keine chirurgos nennen, noch solchen Eingriff thun.
In Preußen unterschied man seit diesem Medizinaledikt zwei Klassen handwerklich ausgebildeter Wundärzte. Erstens die sogenannten Stadtwundärzte, diese unterzogen sich einer nur von der Ober-Examinationsbehörde in Berlin abgehaltenen Prüfung. Nach Bestehen dieser Prüfung und dem Erhalt der Approbation konnten sie sich in Städten mit mehr als 6.000 Einwohnern niederlassen.
Zweitens die sogenannten Landwundärzte, die bei noch geringeren Anforderungen an ihre wissenschaftliche und praktische Ausbildung in den einzelnen Provinzen von den Medizinalkollegien geprüft wurden. Sie besaßen das Recht, sich auf dem Lande oder in den kleineren Städten niederzulassen. Bei entsprechender Zusatzprüfung war beiden Wundarztklassen auch eine Ausübung der inneren Praxis erlaubt, allerdings nur unter der Voraussetzung, daß im Umkreis von mehr als einer Stunde Wegzeit kein akademisch ausgebildeter Arzt erreicht werden konnte. Ferner gab es noch die Militärärzte, welche eine eigene Klasse des Medizinalpersonals darstellten, sowie die eigenständige Gruppe der Operateure.
Nach Drees brachte die neue preußische Gewerbegesetzgebung von 1810/11 auch für das Medizinalwesen wichtige Veränderungen mit sich. Per Gesetz wurden im Jahre 1811 die aus dem Mittelalter stammenden Zünfte aufgehoben und die Ausübung der Chirurgie vom Barbiergewerbe getrennt. Im Jahre 1818 führte das Königreich Preußen darüber hinaus die Niederlassungsfreiheit für Heilpersonen ein. Mit der Verabschiedung der neuen "Bestimmungen über die Eintheilung und die Prüfung des ärztlichen und wundärztlichen Personals" unternahm man dann einen entscheidenden Schritt zur längst überfälligen Strukturänderung des Medizinalwesens. Sie enthielten unter anderem detaillierte Prüfungsbestimmungen für das gesamte Heilpersonal und ersetzten die alte Einteilung in die höher qualifizierten Stadt- und schlechter qualifizierten Landärzte durch die neuen Gruppen eines Wundarztes I. und II. Klasse. Hauptsächliche Neuerung hierbei war, daß die Wundärzte der I. Klasse an den chirurgischen Lehranstalten eine dreijährige "halbakademische", sowohl medizinisch als auch chirurgisch ausgerichtete Ausbildung zu absolvieren hatten.
Alle jene Reformen sind Drees zufolge nicht ausschließlich allein unter dem Aspekt einer fortschrittlichen Gewerbepolitik zu betrachten. Vielmehr waren sie "auch eine Reaktion auf den Fortschritt in der Chirurgie und entsprachen dem Streben der besser ausgebildeten Wundärzte nach einer Aufwertung ihres Berufes und dessen Abgrenzung von den ‚niederen Geschäften‘."

2.2.2 Medizinische Lehranstalten



Anatomische, chirurgische und geburtshilfliche Lehranstalten, die vom 16. bis zum 19. Jahrhundert vornehmlich außerhalb der Universitäten Angehörige der nicht-akademischen medizinischen Berufe fachlich ausgebildet haben, wurden in manchen Fällen bestehenden Unterrichtsinstituten angegliedert, in anderen hingegen als gesonderte Bildungsstätten errichtet. Manche Anstalt schloß ihre Pforten schon nach wenigen Jahren, an anderen erstreckte sich der Unterricht über lange Zeitepochen. Den männlichen Schülern wurde während ihrer Ausbildungszeit theoretisches und praktisches Wissen über die Anatomie und Physiologie des menschlichen Körpers vermittelt, worüber sie am Lehrgangsende einer Prüfung unterzogen wurden. Als Wundarztgeselle mußte der Junghandwerker dann seine berufliche Bildung während einiger Wanderjahre praktisch und theoretisch ergänzen, um sich erst jetzt einer Meisterprüfung zu unterziehen. Die weiblichen Schüler wurden von erfahrenen Berufsgenossinnen und von männlichen Lehrern in der Hebammenkunst unterwiesen. In den anatomisch-physiologischen Disziplinen wurden beide Geschlechter entweder in Anstalten örtlicher "Studia generalia" oder, wo solche nicht bestanden, in Krankenhäusern durch Ärzte, Wundärzte und Hebammen unterrichtet. Nicht nur an Chirurgen- und Hebammenlehrstätten wurde entsprechender Unterricht erteilt, auch Gymnasien und auf den Besuch humanistischer Bildungsanstalten vorbereitende Partikularschulen nahmen in ihr Programm medizinische Lehrvorträge auf.
Für die Berufsausbildung der Angehörigen nichtakademischer Heilberufe galten gegenüber der akademischen Ausbildung zum Mediziner andere Richtlinien. Nur in wenigen Fällen hatten sie als Teilnehmer am Hochschulunterricht gewisse äußerliche Beziehungen zu einem Generalstudium. An einigen Universitäten unterrichteten auch Wund- beziehungsweise Feldärzte, allerdings im Hinblick auf die nichthumanistische Vorbildung der Schüler in deutscher Sprache. Im 17. und 18. Jahrhundert trat die medizinische Geltung des Wundarztberufes gegenüber der des mehr theoretisierenden der Ärzte immer stärker in den Vordergrund, deshalb entstanden zahlreiche weitere medizinisch-chirurgische Bildungsanstalten.
In Preußen wurde eine erste Lehranstalt dieser Art im Jahre 1822 in Münster gegründet, es folgten 1823 Breslau, 1827 Magdeburg und im Jahre 1831 Greifswald. In Halle wurde im Jahre 1826 die Einrichtung einer Chirurgenschule erwogen - jedoch kam dieser Plan nicht zur Ausführung. Nach Drees begünstigte vermutlich die in den vorangegangenen Befreiungskriegen erkannte große Bedeutung der Chirurgie sowie der Mangel an gut ausgebildeten Militärchirurgen deren Einrichtung. Allerdings wurde in dieser Epoche eine Übernahme der chirurgischen Ausbildung durch die Universitäten noch nicht als sinnvoll erachtet. Auch weiterhin herrschte allgemein die Ansicht vor, daß die Ausbildung des Chirurgen eine stärker handwerkliche Orientierung erfordere und dementsprechend auf unnötigen wissenschaftlichen Ballast verzichten könne. Letztlich bestand der Unterschied zum Arztstudium zudem weniger in der inhaltlichen Qualität der Ausbildung, vor allem war sie auch kürzer und kostengünstiger. Nach relativ einheitlicher Satzung mußten auf allen vier Lehranstalten die Bewerber zwischen 16 und 30 Jahre alt sein, einen für diesen Beruf "geeigneten Körper" mitbringen, über eine gute Allgemeinbildung verfügen und diese Fähigkeiten vor einer entsprechenden Prüfungskommission unter Beweis stellen können. Die Studiendauer war auf drei Jahre festgelegt. Dabei umfaßte der Lehrplan Unterricht in den Fächern Deutsch und Lateinisch sowie Kurse in Logik, in den naturwissenschaftlichen Fächern Physik und Chemie und in der Naturgeschichte. Die medizinischen Fächer beinhalteten Anatomie, Knochen- und Bänderlehre, Pathologie und Physiologie sowie allgemeine und spezielle Chirurgie unter Einschluß der Augenkrankheiten. Ferner wurde Wissensstoff in der Lehre von den Frakturen und Luxationen, von den chirurgischen Instrumenten mit Übungen am Phantom und bei chirurgischen Operationen mit Übungen an der Leiche vermittelt. Auch auf theoretische und praktische Geburtshilfe, auf allgemeine und spezielle Therapie, auf Scheintod und Erste Hilfe, auf Anleitungen zu Obduktionen sowie Übungen im Erstellen von Befundscheinen, Krankheits- und Invaliditätsattesten, amtlichen Anzeigen und Berichten sowie auf das Erlernen des Spitaldienstes erstreckte sich die Ausbildung zum Wundarzt.
Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts begann sich dieser Ausbildungsgang zu wandeln, als die Chirurgie um die Anerkennung ihrer Gleichberechtigung in den medizinischen Fakultäten heftige Kämpfe zu bestehen hatte. Darüber hinaus begannen die Universitäten ihren Charakter als Personengemeinschaften aufzugeben; an ihre Stelle traten Anstalten öffentlichen Rechts. Auch das Aufkommen landsmannschaftlicher Studentengemeinschaften stellt für diesen Prozeß ein Merkmal dar; staatliche Maßnahmen gingen parallel vonstatten – die vom Staat erteilte Approbation genügte nunmehr zur ärztlichen Berufsausübung. Nach und nach schlossen die Chirurgenschulen; wer die Chirurgie erlernen wollte, wurde in der Regel Mediziner. Auch bereits in der Chirurgie Promovierte erwarben nunmehr nach längerem oder kürzerem Besuch medizinischer Vorlesungen und Übungen den Grad eines Doktors der Medizin.2 Zum Abschluß dieses Teilkapitels sei vermerkt, daß in den nachfolgenden Teilkapiteln 3.2; 3.2.1; 3.2.1.1 und 3.2.1.2 noch einmal spezifischer und insgesamt detaillierter – dabei auch unter dem Gesichtspunkt einer gesonderten Betrachtung der Stadt Halle, so insbesondere bei der Vorstellung des Stadtphysikus Professor Reil – auf die verschiedenen Ausbildungswege der Chirurgen eingegangen wird.

Quellen:
  • Drees (1989/90 a)
  • Nauck (1963)
  • Kaiser und Piechocki (1968 a)
  • Fischer (1876)
  • Grosch (1969)
  • Murken (1989/90)
  • Sander (1989)
  • Manninger (1942)
  • Löffler (1991)
  • Schwabe (1986)
  • Ackerknecht (1979)
  • Gurlt (1898)
  • Schadewald (1986)


© Nico Koenig